…und informieren auch

Ich fahre ehrlicherweise äußerst selten mit der BSAG.
Zum einen habe ich ein Auto und des Weiteren ein Fahrrad und somit erlebe ich die Neuerungen unserer Busse und Straßenbahnen nicht selbst, sondern nur vom Hörensagen.

Zudem bin ich in unserer Schule Schulratssprecher und somit einer der Kontakte, an die sich Eltern unserer Schulgemeinschaft wenden können, wenn sie ein Problem haben, was augenscheinlich schulweite Konsequenz hat.

Nun hat mich vor ein paar Tagen folgende Mail erreicht:

Sehr geehrter Herr Albrecht,

als Mutter eines Erstklässlers an unserer Schule, der jeden Morgen mit
dem Bus Linie 25 zu Schule kommt bin ich entsetzt darüber das seit Ende
April ungefiltert die Bilder aus der Tagesschau auf den Bildschirmen der
Busse und Straßenbahnen der BSAG laufen. Ich finde es unverantwortlich
unseren Kindern gegenüber. Auf meinen Anruf bei der BSAG
Beschwerdestelle bekam ich eine E-mail des Inhalts das sie sich
glücklich schätzen den Fahrgästen dieses Angebot machen zu können. Ich
bin ehrlich gesagt sprachlos, daß nicht mit einem Gedanken an die
kleinen Fahrgäste gedacht wird.

Ich wünsche mir Solidarität unter den Eltern um an der Stelle Stop zu
sagen. Was können wir tun?

…Ich freue mich über Ihre Rückmeldungen.

Herzliche Grüße
***

Email vom 15.06.22

Selbstverständlich habe ich den kompletten Email-Verlauf hier und möchte ihn auch veröffentlichen. Auf die Anfrage der Mutter, dass diese Nachrichten dann eben auch von Kindern gesehen werden, für die der Inhalt nicht geeignet ist, kam folgende Antwort:

Sehr geehrte Frau ***,
 
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 08.06.2022.

Es tut uns leid, dass die Nachrichten auf unseren Infotainment-Systemen
nicht dem entsprechen, was Sie sich von uns wünschen.
  Ab Ende April 2022 gibt es nun auch überregionale Nachrichten der
Tagesschau direkt über das Infotainmentsystem in Bussen und Bahnen. Auf
den Monitoren in den Fahrzeugen sind mehrere kurze Nachrichtenclips mit
Untertiteln zu sehen. Diese werden von ARD aktuell produziert und
mehrmals täglich per Mobilfunk aktualisiert. Die BSAG hat keinen
Einfluss auf die Inhalte. 
Mit der Tagesschau haben wir eine der wichtigsten Plattformen für
überregionale Nachrichten als Partner gewonnen. Sie ergänzt die
Regional-Nachrichten von buten & binnen durch überregionale News. Dabei
steht die Tagesschau mit ihrer langjährigen Tradition für hohe
Qualität, Kompetenz, Vertrauen und Zuverlässigkeit, die auch für uns
als BSAG in unserem Alltag von großer Bedeutung sind. Die Tagesschau
ist überall dort, wo Menschen Nachrichten erwarten. Sie verantwortet
die TV Nachrichten und das Online Nachrichtenportal tagesschau.de. Die
Tagesschau ist die meistgesehene Nachrichtensendung im deutschsprachigen
Fernsehen. Seit fast 70 Jahren informiert sie mehrmals täglich aktuell,
seriös und zuverlässig über alles Wichtige, das in der Welt
geschieht. Auch Fahrgäste der BSAG sollen nun davon profitieren, so
sollen damit mehr Nachrichten über unsere Bildschirme im Fahrzeug als
bislang angeboten werden. 

Wir denken, dass die Versorgung mit Nachrichten im Interesse unserer
Fahrgäste ist. Für die Zukunft wünschen wir Ihnen allzeit gute Fahrt. 

Mit freundlichen Grüßen 

i. A. *****
  Team Kundenanliegen
  Center Verkehrsplanung und Qualität

  Die gute Mutter hat sich sogar die Mühe gemacht, nochmals eine Antwort zurückzusenden, auf die aber bisher nicht reagiert wurde. Ich würde es sonst nachsenden.

Ich denke, dies ist ein schönes Beispiel für die viel zu geringe Rücksichtnahme, die Kinder in unserer Welt immer wieder erfahren.

Ehrlicherweise – und damals dachte ich an ein lokales Problem – hatten wir als Familie diese Situation beim letzten Besuch in Düsseldorf im Hotel ebenfalls. Es war gerade der Krieg in der Ukraine ausgebrochen und im Frühstücksraum liefen auf allen vier Wände die aktuellen Nachrichten mit entsprechenden Bildern auf Großbildschirmen.
Egal, wohin wir uns setzten, konnte unser 8-Jähriger alles sehen und glaubt mir, es waren verstörende Bilder. Selbst ich wollte sie zum Frühstück nicht sehen müssen.
Und wir waren nicht die einzige Familie, die dort übernachtete.

Ich habe mich damals schon gefragt, ob es nicht schlauer wäre, in eine höhere Internetbandbreite zu investieren und den Gästen ein besseres WLAN zu ermöglichen, um die Dinge, die sie sehen wollen, auf ihren privaten Smartphone ansehen zu können.

Bei der BSAG, also in unseren Bussen und Straßenbahnen sollte dies möglich sein. Immerhin habe ich bei meinem Moskau-Besuch gelernt, dass die günstigste und beste Möglichkeit dort online zu surfen, die U-Bahn ist. Free-WIFI auf allen Strecken.

Und bitte argumentiert nicht damit, dass es gut ist, wenn die Nachrichten allen zugänglich wäre, damit die Leute wissen, wie es auf der Welt zugeht oder was gerade passiert.

Übrigens…nein, es ist pädagogisch nicht sinnvoll, die Kinder auf das „echte Leben“ vorzubereiten und ihnen diese Bilder zu zeigen. Es ist völlig inakzeptabel.

Aber die BSAG hat einen Transportauftrag und keinen Bildungsauftrag, weshalb ihr das wahrscheinlich auch nicht klar ist. Sie will nur Menschen von A nach B bringen, aber sie muss dies im Rahmen des politisch Gewollten tun und kann nicht einfach entscheiden, was sie ihren Fahrgästen anbietet.

Wer also gehofft hat, demnächst wieder rauchen zu dürfen in der Bahn oder ein Separee, in dem man sich mit neu kennengelernten Mitfahrern zurückziehen kann. Der wird enttäuscht sein, aber vielleicht habe ich die BSAG ja doch noch auf eine Idee gebracht.

Die nächsten Schritte

Die Mutter hat nicht nachgelassen, was ich gut verstehen kann und hat – nicht der schlechteste Ansatz – den Kinderarzt aktiviert und auch der sah sich bemüßigt eine Email zu schreiben:

Sehr geehrter Herr *** !
Als für die Öffentlichkeitsarbeit der BSAG zuständigen Mitarbeiter
schreibe ich Ihnen, da mir in den letzten zwei Wochen gehäuft Klagen
von Müttern zu Ohren gekommen sind, dass ihre (Grundschul-)Kinder in
den neueren Bussen und Bahnen mit Fernsehbildern auf Ihren Bildschirmen
konfrontiert sind, die auch aus meiner Sicht als Kinderarzt vollkommen
ungeeignet bis schädlich für Kinder sind.
Es ist erwiesen, dass Kinder im Grundschulalter besonders vulnerabel
für Bilder und Filme sind, die erschreckend und beängstigend sind. Wir
raten Eltern von Grundschulkindern grundsätzlich davon ab, sie in dem
Alter Nachrichtensendungen und Filme mit beängstigenden, unheimlichen
Bildern sehen zu lassen. Zur Zeit werden regelmäßig schlimme Bilder
vom Kriegsgeschehen in der Ukraine gezeigt. Ich empfinde es dafür als
unverantwortlich, wenn die BSAG diese Nachrichten in ihren Fahrzeugen
unkritisch laufen läßt.
Deshalb bitte ich Sie, umgehend dafür zu sorgen, dass in Ihren
Fahrzeugen ausschließlich kindgerechte, „harmlose“ Filme und Sendungen
gezeigt werden ! Ich werde das nächste Woche überprüfen. Falls ich
feststellen sollte, dass weiterhin Tagesschau etc. gezeigt werden, werde
ich mich an den Kinderschutzbund wenden.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. ***

Ich finde sein „Androhung“ sich an den Kinderschutzbund zu wenden sehr gut. Das ist auf jeden Fall die Vereinigung, die das größte Interesse daran haben sollte, zu verhindern, dass unsere Kinder solche Bilder zu sehen bekommen.

Nebenbei bemerkt schätzt die Tagesschau selbst lt. Internetrecherchen das früheste Alter bei 10 Jahren, in dem Kinder die Nachrichten konsumieren sollten. Wirbt ja sogar mit zahlreichen Kindernachrichtenangeboten. Vielleicht könnte man ja die statt der Nachrichten für Erwachsene senden. Das wäre zumindest nicht ungeeignet und würde sicherlich vielen helfen, die Nachrichten besser zu verstehen – auch unter den Erwachsenen.

Die Antwort der BSAG ließ nicht lange auf sich warten. Nach sensationellen 2 Stunden später kam folgender Text:

Sehr geehrter Herr *** (Anm.: Der Doktortitel wurde weggelassen),

vielen Dank für ihre E-Mail und für ihr Engagement zum Wohl der Kinder
an Bord unserer Busse und Straßenbahnen mit einem Infotainment-System.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen,
von den Medien vielfältig verbreiteten Bilder, sind für uns alle
erschreckend und verstörend. Eine Erfahrung, die wir auch schon bei
früheren Kriegsberichten aus Syrien, Irak oder Afghanistan machen
mussten. Auch verstehe ich gut, dass Eltern ihre Kinder vor der
Auseinandersetzung mit diesen Themen bewahren wollen.

Ihnen ist sicher bewusst, dass diese Nachrichten nicht „unkritisch“
laufen. Die von Ihnen angesprochenen Inhalte stammen aus der Redaktion
der tagesschau in Hamburg. Diese beliefert uns und andere Medien mit
aktuellen Informationen aus aller Welt. Wie in allen Redaktionen – egal
ob Print, TV oder Online – sitzen auch hier verantwortungsvolle
Journalistinnen und Journalisten. Sie prüfen vor einer
Veröffentlichung nicht nur die Fakten, sondern auch die Wirkung der
gezeigten und gedruckten Inhalte.

Wir haben das Thema mit der Bitte um eine Klärung an die tagesschau
weitergegeben. Wir gehen davon aus, dass wir dazu zeitnah Gespräche mit
den Beteiligten führen werden. Bis dahin muss ich leider um etwas
Geduld bitten.

Vielen Dank für ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen
***
Pressesprecher
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit

Aus meiner Sicht nun langsam wirklich eine unverschämte, respektlose Abschiebung der Verantwortung. Ich spare mir Vergleiche oder Metaphern, weil alle, die mir in den Sinn kommen zu negativ wäre, aber eines ist ja wohl klar:

Die BSAG bringt die Bilder zu unseren Kindern – NICHT die Redaktion der Tagesschau.

Dieser Brief ging offenbar nun auch an den Weserkurier. Bin gespannt, wie die Zeitung damit umgeht.

Ich möchte, dass diejenigen, die uns vertreten, und zwar sowohl im Zentralen Elternbeirat als auch im Bildungssenat dieser Ausstrahlung einen Riegel vorschieben.

Wenn schon unbedingt die Tagesschau Nachrichten in den Bussen und Bahnen ausgestrahlt werden müssen, dann zu einer Zeit, in der man mit Grundschulkindern und noch kleineren Fahrgästen nicht mehr zu rechnen hat, also beispielsweise nach 20:00 Uhr.

Es würde mich bei diesem Thema wirklich auch mal eure Meinung interessieren und deshalb freue ich mich über jeden Kommentar und, sofern er angemessen formuliert und nicht beleidigend, rassistisch oder respektlos ist, hier abdrucken.

Aktuelle Information (08.07.2022)

Es gibt nun in unserer regionalen Tageszeitung dem Weserkurier einen Artikel über eine Demonstration, die von der Mutter initiiert wurde.

Da möchte ich persönlich gratuliere und betone an dieser Stelle: Widerstand wird wahrgenommen.

Ich halte euch über die aktuelle Entwicklung hier gerne weiter auf dem Laufenden.

Aktuelle Information (28.08.2022)

Die Bremer Bildungssenatorin wurde angeschrieben und gebeten, ihre Verantwortung wahrzunehmen, alles Mögliche zu tun, um Kindern einen gewaltfreien Schulweg zu garantieren. Hier ist ihre Antwort:

In dem Schreiben wird die Parallelität zur Werbung gezogen, deren Inhalte ja auch „unkontrollierbar“ zu sein scheinen.

Da möchte ich mir den Hinweis erlauben, dass der Bundestag selbst der deutschen Werbewirtschaft auferlegt hat, einen Werberat zu gründen, der die Inhalte von Werbung auf sexistische, rassistische und gewaltverherrlichende Momente untersucht und dagegen vorgeht.

Es gibt also durchaus „Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen“. Ich denke, dies sollte man Frau Aulepp und ihren Mitarbeitern nochmals verdeutlichen.
Es ist aus meiner Sicht exakt die Aufgabe, die sie als Politiker zu erfüllen haben und es ist eben genau dieser Einfluß, den sie nehmen müssen, weil sie von uns dazu gewählt und damit bevollmächtigt wurden.

Es ist aber im Gegensatz dazu, nicht die Aufgabe einer Bildungssenatorin oder ihrer Mitarbeiter, einer Mutter gute Erziehungsratschläge zu geben. Dafür gibt es sicherlich kompetentere Personen:

Wichtig ist es in jedem Fall, mit dem Kind über das Gesehene zu sprechen und ihm zu helfen, Bildeindrücke einzuordnen und als Teil der Welt zu sehen.

Aus dem Bremer Bildungssenat
BSAG – Rücksicht geht anders…

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